
In ihren Träumen sind alle Männer Krieger. Und es ist kein Wunder, dass im Laufe der Jahrhunderte Kämpfe, Kriege und martialische Darstellungen Männer schon immer fasziniert haben (mich selbst eingeschlossen). Und viele davon folgten dieser Faszination zuerst in einer Uniform und dann in Schmerz, Verstümmelung, Tod. Die vielen Kriegsfriedhöfe im Ermland sind Zeugnis davon: Hier liegen russische Männer, die von Deutschen getötet wurden, polnische Männer, die von Deutschen getötet wurden, deutsche Männer, die von Russen getötet wurden.
Ein Ort, der für mich diese Lust am Ruhm symbolisiert und wie sie vom Nationalismus noch pervertiert werden kann, ist ein grasbewachsener Hügel westlich von Hohenstein/Olsztynek. Bis 1945 befand sich hier das Tannenberg-Denkmal.
1/4 St. westl. von Hohenstein auf einem der höchstgelegen Punkte des Schlachtfeldes, das Tannenberg-Nationaldenkmal, 193m (kurz vorher an der Strasse Rest. Tannenbergkrug mit dem Tannenberg-Schlachtrelief, im Sommer stdl. Vorträge über den Verlauf der Schlacht, 50 Pf.), Entwurf von Walter u. Joh. Krüger, 1928 eingeweiht. Besichtigung: Im Sommer 8-18, im Winter 9-17 stdl. Führungen 50 Pf. Acht wuchtige, 24m hohe Türme umschliessen den Ehrenhof.
Grieben Reiseführer Ostpreußen, 1938
Das Denkmal aus rotem Backstein wurde von den genannten Berliner Architekten, mit denen ich den Nachnamen teile, geplant und erbaut und war den deutschen Soldaten der Schlacht von Tannenberg (1914) gewidmet, der einzigen Schlacht im Ersten Weltkrieg, die für Deutschland einen klaren Sieg bedeutete. Der Befehlshaber Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg wurde zum Nationalhelden (und später zum Präsidenten der Weimarer Republik, der letzte vor Hitlers Machtergreifung). Das Denkmal wurde zu einer der wichtigsten Touristenattraktionen in Ostpreußen, ein Ort, an dem unzählige Massenveranstaltungen stattfanden – wie das Begräbnis von Hindenburg im Jahr 1934, als sein Sarg und der seiner Frau Gertrud (die 1921 verstorben war) entgegen seiner Wünsche im Denkmal beigesetzt wurden. Hitler ließ das Denkmal umgestalten und in „Reichsehrenmal Tannenberg“ umbenennen. Im Jahr 1944 wurde es die Begräbnisstätte des Nazi-Generals Günter Korten, der von Claus Schenk Graf von Stauffenberg während des Staatsstreichs am 20. Juli getötet wurde.
Obwohl es nur eine kurze Zeit existierte, gibt es in der Geschichte Ostpreußens und Deutschlands allgemein nur wenige Gebäude, die Historiker und Schriftsteller so fasziniert haben wie das Tannenberg-Denkmal. Wie Max Egremont in „Forgotten Land“ (Vergessenes Land, 2011) schreibt:
Das Gebäude hatte ein starkes Gefühl von Gewicht, von fester Verwurzelung im Land und war leicht erhöht, so dass die Besucher dorthin gingen, als ob es sich um eine heilige Stätte handelte. Die Ziegel müssen an dunkle Flammen in der Sonne erinnert haben und bei bedecktem Himmel fast schwarz gewesen sein, so als stünden sie abwechselnd in Flammen oder im Sturm.
Der ermländische Historiker Bogumił Kuźniewski schreibt in seinem Essay „Das Tannenberg-Denkmal – Bedeutung und Niedergang“ (2014):
Die nationalsozialistische Propaganda unternahm alles, um das Tannenberg-Denkmal in Deutschland bekannt zu machen. Neben Büchern, Reiseführern und Tausenden von Postkarten wurden sogar Briefmarken mit dem Bild des Denkmals und des Mausoleums veröffentlicht. In jeder Ortschaft, die irgendeinen Bezug zu der Schlacht vorweisen konnte, wurden Denkmälern aufgestellt, Gedenktafeln oder Fensterbilder in Kirchen gestiftet, um auf diese Weise den Sieg der deutschen Armee zu ehren.
Und wie Andreas Kossert es in „Ostpreußen – Geschichte und Mythos“ (2005) formuliert:
Das bombastische Tannenberg-Nationaldenkmal […] war in unmittelbarer Nähe zur polnischen Grenze durchaus auch als Provokation gedacht. An diesen einzigen Erfolg der deutschen Seite knüpfte sich zugleich die Hoffnung, mit dem Geist von Tannenberg auch die Grenzen von Versailles im Osten revidieren zu können.
Im Gegensatz zu meinem Großvater Willi, dem Mann meiner Großmutter Cilly, der als Pionier in der Wehrmacht an der Ostfront diente, oder meinem Großonkel Franz, der mit derselben Armee in Polen und Frankreich einmarschierte, habe ich persönlich kein Konzept vom Krieg, seinen Machenschaften und den individuellen Erfahrungen der Soldaten. Ich bin in einem friedlichen Europa aufgewachsen und darüber sehr dankbar. Aber es gibt eine gewisse Wahrheit von Denkmälern wie Tannenberg, die selbst für Pazifisten wie mich leicht zu fassen ist: Die meisten Kriegsdenkmäler sind antagonistisch. Sie sollen niemals einen Einblick in den Kontext einer Schlacht und den Erlebnissen der einzelnen beteiligten Menschen geben. Es gibt natürlich Denkmäler, die an einen gerechten Widerstand gegen Unterdrücker erinnern, an galante Kämpfe angesichts des sicheren Todes; aber das Tannenberg-Denkmal war nichts davon.

Von dem Denkmal ist heute nichts mehr übrig. Nur ein staubiger Weg durch den Wald und ein kleiner Pfad, der von ihm abzweigt und zur ehemaligen Umfassungsmauer führt, die jetzt bewachsen ist und eine Fläche mit hohem Unkraut und Gras überblickt, dem ehemaligen „Ehrenhof“, wo Bienen und Fliegen eifrig arbeiteten. Ich schaute hinein und dachte an die Männer (immer Männer), die hierher kamen, um Zustimmung für ihre Sache zu erlangen, an den fetten Hermann Göring, der während der Beerdigung von Günter Korten auf einem zu kleinen Stuhl im Hof saß, eine Pistole an seiner sich ausdehnenden Taille wie ein Idiotencowboy. Ich dachte an all die desillusionierten Männern, die das Denkmal und damit gleichzeitig im Geist ihren eigenen „Sieg“ wieder besuchten, Männer, die von der Weimarer Republik und dem Status Ostpreußens frustriert waren, die zusammen mit ihrem Führer immer wieder Zwietracht säten – und wie ein so einfaches Gebäude leicht ihre Hybris schüren konnte. Frei nach Bertolt Brecht: Unglücklich das Land, das Helden aus Stein nötig hat.
Als sich die Rote Armee 1945 näherte, entfernten deutsche Truppen Hindenburgs Überreste und rissen das Denkmal teilweise ab. 1949 wurde das restliche Gebäude von polnischen Behörden komplett entfernt und es blieben nur wenige Spuren zurück. Die Granitplatten im Ehrenhof wurden für ein neues Denkmal verwendet, diesmal eines für die Rote Armee, das 1954 in Allenstein/Olsztyn errichtet wurde. Aber das ist eine Geschichte für einen anderen Tag.
Ich mag das Tannenberg-Denkmal, wie es jetzt ist: eine überwachsene Anhöhe ohne Funktion, die von der Natur zurückerobert wird. Der einzige, den ich traf, als ich von dort zu meinem Auto zurückging, war ein kleiner dicker Hund, der mich zuerst misstrauisch beäugte, sich dann aber bereitwillig den Bauch streicheln ließ.

My War Gone By
In their dreams, all men are warriors. It is no wonder that throughout the centuries fighting, war and martial displays have always fascinated men because of that, myself included. And many followed that fascination first into uniform and then into pain, dismemberment, death. The many war cemeteries across Warmia are a testament to that: here lie Russian men killed by Germans, Polish men killed by Germans, German men killed by Russians.
But to me, a location that symbolises that lust for glory and how it can be perverted even more by nationalism even more than those cemeteries is a grassy knoll west of Olsztynek south of Olsztyn. Until 1945, this was the location of the Tannenberg memorial.
1/4 hour west of Hohenstein on one of the highest points of the battlefield the national memorial Tannenberg, 193m (shortly before on the road the restaurant Tannenbergkrug with the Tannenberg battle relief, in summer weekly lectures about the course of the battle, 50 Pfennigs), design by Walter and Joh. Krueger, inaugurated 1928. Visits: in summer 8-18, winter 9-17 hourly tours 50 Pfennigs. Eight powerful, 24m-high towers enclose the court of honour.
Grieben Travel Guide East Prussia, 1938
The red-brick memorial was planned and built by the aforementioned Berlin architects with whom I share the last name and was dedicated to the German soldiers of the Battle of Tannenberg (1914), the only battle that was a clear victory for Germany in World War I. The German commander Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg became a national hero (and was later elected president of Weimar Germany, the last before Adolf Hitler rose to power). It became one of the main tourist sites of East Prussia, location of countless mass events, like the burial of Hindenburg in 1934, when his coffin and that of his wife Getrud (who had died in 1921) were placed in the memorial despite his wishes to be buried at his family plot in Hanover. Hitler ordered the monument to be redesigned and renamed „Reichsehrenmal Tannenberg“, national memorial Tannenberg. In 1944, it became the burial site of Nazi general Günter Korten, killed by Claus Schenk Graf von Stauffenberg during the July 20th coup and attempt on Hitler’s life.

Even though it only existed for a short time, there are few buildings in the history of East Prussia, and Germany as a whole, that have fascinated historians and writers as much as the Tannenberg memorial. As Max Egremont writes in ‚Forgotten Land‘ (2011):
The building had a powerful sense of weight, of solid rootedness in the land, and was raised slightly so that visitors walked up to it, as if to a sacred site. The bricks must have resembled dark flames in the sun and yet have been almost black when the sky was overcast, as if they were alternately on fire or in a storm.
Warmian historian Bogumił Kuźniewski writes in his essay ‚The Tannenberg Memorial – Impact and Decline‘ (2014):
National Socialist propaganda undertook every possible effort to make the Tannenberg memorial known throughout Germany. Besides books, travel guides and thousands of postcards there were even stamps with the image of the memorial and mausoleum. In every place throughout Germany that even had the loosest connection to the battle memorials were erected, plaques set up or stained glass windows donated to churches so that the victory of the German army could be remembered.
And as Andreas Kossert puts it in ‚East Prussia – History and Myth'(2005):
The bombastic Tannenberg memorial […], erected in immediate proximity to the Polish border, was certainly intended as a provocation. To this only success of the German side many connected the hope that the spirit of Tannenberg would help to revise the Versailles borders in the east again.
Unlike my grandfather Willy, the husband of my grandmother Cilly who served as a sapper in the Wehrmacht on the Eastern front, or my granduncle Franz who invaded Poland and France with the same army, I personally have no concept of war, its machinations and the individual experiences entailed. I grew up in a peaceful Europe and I am very happy about that. But there is a certain truth about memorials like Tannenberg that is easy to grasp even for pacifists like me: the majority of war memorials are antagonistic. They are never intended to provide an insight into the context of battle and the individual humans involved. There are of course memorials that remind us rightful resistance against an oppressor, of galant fights in the face of certain death; but the Tannenberg memorial was none of these things.

There is nothing left of the memorial today as I approached during my last visit. Just a dusty path through the forest and a small track that branches off from it, leading to the former enclosing wall, now overgrown and overlooking a bowl of tall weeds and grass where bees and flies are eagerly at work. I looked down into it and thought of the men (always men) who came here to gain approval for their cause, of fat Hermann Göring sitting in a too-small chair in the courtyard during the burial of Günter Korten, a gun strapped to his expanding waist like an idiot cowboy. Of all the disillusioned men who visited the memorial and revisited their one victory at the same time, frustrated with the Weimar Republic and the status of East Prussia who would keep sowing discontent together with their Führer, and how such a simple building easily stoked their hubris. To paraphrase Bertolt Brecht, unhappy is the land that needs heroes made from stone.
As the Red Army approached in 1945, German troops removed Hindenburg’s remains and partly demolished key structures. In 1949, Polish authorities razed the site, leaving few traces. The granite slabs in the court of honour were used to build another memorial, this time the one dedicated to the Red Army that was erected in Olsztyn in 1954. But that memorial is a story for another day. I like the Tannenberg memorial best the way it is now: an overgrown knoll with no function reclaimed by nature. The only one I met walking back to my car from there was a small fat dog who looked at me suspiciously first, but then willingly accepted my belly rubs.